Konzepte gegen Corona

Die Corona-Infektionszahlen in Deutschland steigen. Besorgniserregend. Wenn auch nicht überall gleich. In manchen Kleinstädten scheint die Lage unter Kontrolle, in Ballungsräumen sieht das anders aus. Die gute Nachricht: Es gibt Konzepte, die beim Gegensteuern helfen.

Begegnung im Altenheim während Corona
Isolation verhindern: Kluge Besuchskonzepte ermöglichen trotz Pandemie einen Besuch im Altenheim. Foto: epd-Bild/Klaus Honigschnabel.

Abstand, Hygiene, Alltagsmasken und Lüften: „AHA & L“  ist so ein schlichtes, aber sehr wirkungsvolles Konzept. Die schlechte Nachricht: Wir wenden es nicht konsequent genug an. – Warum nur lernen wir nicht aus unseren Erfahrungen?

Vor der zweiten Welle

Ich denke in diesen Tagen viel an meine Sommerreise zu diakonischen Einrichtungen, die extrem unter der ersten Welle der Pandemie gelitten hatten. An die vielen bewegenden Gespräche mit Mitarbeitenden, Bewohnerinnen und Bewohnern, Heimleitungen.

In all diesen Gesprächen wurde eines deutlich: „Bitte nicht noch einmal! Eine zweite Phase wie die im Frühjahr stehen wir nicht mehr durch.“ Ich habe auch hier im Blog davon berichtet. Und davon, wie wichtig es ist, diese Erfahrungen systematisch auszuwerten, damit wir besser vorbereitet sind.

Erfahrungsschatz heben

Anders als im Frühjahr gibt es, Gott sei Dank, inzwischen ausreichend Schutzkleidung und Präventionskonzepte. Es gibt auch die Möglichkeit sowohl Mitarbeitende als auch Bewohnerinnen und Bewohner regelmäßig zu testen, es gibt Erfahrungen zur Wirksamkeit von Hygienekonzepten und Abstandsregeln.

Wir alle sind pandemieerfahrener geworden. Und nun geht es darum, diese Erfahrungen zu nutzen. Keine Einrichtung geht unvorbereitet in diesen Herbst. Wir haben an Professionalität gewonnen. Und: Es ist noch nicht zu spät, sich noch besser vorzubereiten.

Vorbildliches Beispiel

Ein vorbildliches Beispiel in der Diakonie gibt etwa die Evangelischen Heimstiftung (EHS). Das war in dieser Woche auch im ZDF zu sehen.

Die EHS ist ein großer Träger der Altenhilfe in Baden-Württemberg: 86 Pflegeheime und 30 Pflegedienste betreuen rund 11.500 alte und pflegebedürftige Menschen. Die 9200 Angestellten, die hier arbeiten, sind inzwischen gezwungenermaßen Expertinnen und Experten der Pflege unter den Bedingungen von Covid 19.

Ein Erfahrungsschatz, den es in jeder unserer Einrichtungen gibt! Gut, wenn er gehoben wird. In einem nachahmenswerten Evaluationsprozess hat man in der EHS mit den Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag in den Wohngruppen und auf den Stationen unterwegs sind, die Wirksamkeit der seit März 2020 eingeleiteten Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus überprüft. Und zwar standortübergreifend.

Corona-Expertise

Die Fragen lauteten: Was hat funktioniert, was nicht funktioniert? Was hat die Arbeit gestört und belastet, was kann man zukünftig besser machen? Auf der Grundlage der Antworten aus den Teams und natürlich den Empfehlungen der Fachleute – etwa vom Robert-Koch-Institut – hat die Geschäftsführung orientierende Kriterien aufgestellt und gestaffelte Maßnahmen festgelegt, die zur Vorbereitung einer möglichen zweiten Welle zu ergreifen sind.

Abhängig von den Infektionszahlen im Landkreis und in der jeweiligen Einrichtung, aber gültig für alle Häuser. Alles unter der wegweisenden Überschrift: „Wir wollen keine geschlossenen Heime mehr!“ Alte Menschen müssen eben nicht wochenlang isoliert werden, um geschützt zu werden.
Eine gemeinsame Strategie, die die Einzelnen entlastet.

Entlastende Strategie

Die beschossenen Maßnahmen umfassen Regeln zur strengen Einhaltungen der AHA-Regeln genauso wie konsequente Symptomkontrolle bei BewohnerInnen und Mitarbeitenden, Tests bei Neuaufnahmen bis zur Zimmerisolation von infizierten Personen.

Es finden sich auch Hinweise zur Dienstplangestaltung oder Regeln zur stufenweisen Eindämmung von Besuchszahlen bei steigenden Infektionszahlen in und außerhalb der Einrichtung. Beispielgebend wie sich hier Anwaltschaftlichkeit und Professionalität verbinden!

Gegen Heimschließungen

Wir sind uns verbandsübergreifend einig: Es darf nicht wieder dazu kommen, dass bei steigenden Infektionszahlen das Grundrecht auf Teilhabe, Selbstbestimmung und Freiheit von alten und sehr alten Menschen in Pflegeheimen flächendeckend eingeschränkt wird. Das gilt genauso für Häuser, in denen Menschen mit Behinderungen leben.

Kluge und wirkungsvolle Konzepte zum Schutz, ja, aber eine dauerhafte, pauschale Isolation führt zur Vereinsamung und ist eine Grundrechte gefährdende Qual und unbedingt zu vermeiden.

Was gibt Kraft?

Wir sollten in der Diakonie noch viel mehr wissen wollen über die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen, die (nicht nur) in unseren Pflegeeinrichtungen an vorderster Front gegen das Virus kämpfen.

Auch um noch besser für die Interessen der uns anvertrauten Menschen und der Mitarbeitenden eintreten zu können, brauchen wir Erkenntnisse darüber, wie es den Kolleginnen und Kollegen geht, und was ihnen Kraft gibt, durchzuhalten. Applaus von Balkonen – auch das ist jetzt häufig genug betont worden – reicht eben nicht aus.

Covid 19-Pflege-Studie

Deswegen bin ich sehr gespannt auf die Ergebnisse der Ad hoc-Studie, die die Evangelische Arbeitsstelle midi im Auftrag von Diakonie Deutschland in Kooperation mit dem Deutschen Evangelischen Verband für Altenhilfe und Pflege e.V. (DEVAP) und dem Verband der diakonischen Dienstgeber (VdDD) derzeit durchführt.

Ihr Titel: „Erfahrungen von Diakonie-Mitarbeitenden in der Altenhilfe (Pflege) während der Covid-19-Pandemie“. Seit Anfang Oktober läuft die Feldstudie, und alle Einrichtungen der Altenhilfe sind eingeladen, sich zu beteiligen. Ziel ist, rund 20 Prozent zu erreichen, so dass die Ergebnisse eine regionale Repräsentativität aufweisen.

Im Zentrum stehen hier die Fragen, wie es den Mitarbeitenden seit Ausbruch der Pandemie ergangen ist, wo sie noch akute Handlungsbedarfe sehen und mit welchen Befürchtungen sie konfrontiert waren. Aber eben auch, was ihnen Halt und Orientierung gibt oder, wo sie Unterstützung gefunden haben. Anfang November wissen wir mehr.

Prävention hilft

Früh genug, um noch Konsequenzen zu ziehen, damit wir gemeinsam besser durch den Pandemieherbst und -winter kommen. Deutschland hat gute Erfahrungen mit Prävention gemacht. Unsere Infektionszahlen sind vergleichsweise niedrig, weil die Präventionskonzepte erfolgreich waren. Verspielen wir das nicht.