Pfingsten feiert die Christenheit ein großartiges Konzept von Gemeinschaft! Kein populistisch hingeklotztes Wir, das bestimmte Menschen ein- und andere ausschließt! Kein „christliches Abendland“ als kultureller Kampfbegriff! Kulturelle Kampfbegriffe und Pfingsten passen nicht zusammen.
Denn Pfingsten feiert die Christenheit eine Gemeinschaft, die Vereinzelung überwindet, Individualität schützt und in der Diversität kein Hinderungsgrund für Zugehörigkeit ist.
Die Bedeutung des Vielsprachen-Festes Pfingsten lässt sich auch ohne Kirchensprache formulieren. Zum Beispiel so: „Pfingsten feiert, dass solidarische Gemeinschaft und Einzigartigkeit kein Widerspruch mehr sein sollen.“ Oder etwas frömmer: „Pfingsten lädt dazu ein, die Idee einer Offenen Gesellschaft der Vielfältigen als Frucht des Geistes zu verstehen und zu feiern.“
Politisches Pfingsten?
Das wird Manchen zu „politisch“ sein, doch wenn man die biblischen Zeugnisse ernst nimmt, finde ich es schwer, zu anderen Ergebnissen zu kommen. Klar, könnte auch ich zutreffend formulieren: „Pfingsten feiert Gottes Geist und den Geburtstag der Kirche.“ Aber wem wäre damit geholfen? Für die meisten Menschen, sogar in den Kirchen, blieben das leere Worte: Gottes Geist? Geburtstag der Kirche? Bedeutungslos, wenn nicht beantwortet werden kann, was genau da eigentlich gefeiert wird? Wobei die Bemerkung erlaubt sei: Wird denn überhaupt gefeiert? Oder wird nur mehr oder weniger feierlich erinnert, was das Gegenteil von Feiern wäre?
Ich feiere am kommenden Wochenende, dass Gottes Geist, auf den wir uns in den Kirchen berufen, für eine besondere einladende Form von Gemeinschaft steht. Und zwar nicht erst im Neuen Testament. Der Bibeltext, der dem Fest zugrunde liegt, findet sich zwar in der Apostelgeschichte und erzählt von der öffentlichen Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Jünger, aber es gibt viel ältere Zeugnisse von Erfahrungen mit dem Geist Gottes – und viele erzählen von Gemeinschaft. In den Schriften der Hebräischen Bibel taucht das Wort Geist (Ruach) nicht weniger als 378-mal auf. Manchmal bedeutet es schlicht ‚Wind’ oder ‚Hauch’, aber es findet sich auch in sperrigen Geschichten, die davon erzählen, wie das ‚Volk Israel‘ aus Unterdrückung gerettet wird.
In den Kirchen wird trotzdem oft nur sehr nebulös über „den Geist“ gesprochen. So, als wüsste man nichts Genaues, als wäre dieser Geist nur unbegreiflich und unverfügbar und schlicht zu hoch, um verstehen zu können. „Der Geist weht, wo er will“ (Johannes 3,8) wird dann gerne zitiert, als wolkige Begründung dieser Haltung. Was für eine Verharmlosung ! Wenn man nicht zu erklären vermag, was der Geist Gottes bewirkt, bleibt die Rede vom Geist belanglos, bleibt die kühne Vision der solidarischen Gemeinschaft der Einzigartigen unbebildert und unfassbar. (Lesenswert ist dazu übrigens immer noch das Buch „Gottes Geist“(1993/2015) des Theologen Michael Welker.
Solidarität und Einzigartigkeit
Der Geist Gottes, das bezeugen die alten biblischen Texte, ist ein Geist der Freiheit. Und dieser Geist wirkt und weht eben nicht „irgendwie“, sondern mit durchaus beschreibbaren Folgen: Wo nicht mehr mit Hilfe gerechnet wird, kann die ‚Ruach’ Loyalität, Solidarität und gemeinsame Handlungsfähigkeit wieder herstellen – eine zerrissene Welt beginnt zusammen zu wachsen. Das ist die Hoffnung.
Dieses Zusammenwachsen kann man nicht einfach „machen“, es „geschieht“. Was wir aber tun können – auch als Atheist*en übrigens, ist: Nicht aufzuhören, uns nach diesem Geist zu sehnen. Dem Geist des Friedens, der Solidarität und der gemeinsamen Handlungsfähigkeit. Wann und wo man sich nach diesem Geist sehnt und sich ihn herbeiwünscht, ob in der Kirchengemeinde, in den Aktionen der Offenen Gesellschaft, in einer Partei oder in der Familie, das können wir entscheiden. Der Geist aber weht, wo er will. Wo es ihm gefällt. Da schafft er seine Freiheit und seine Gemeinschaft der Einzigartigen.
16. Juni – vormerken!
In vier Wochen, am 16. Juni 2018, ruft die Initiative Offene Gesellschaft zum 2. Tag der Offenen Gesellschaft auf. Wie im vergangenen Jahr wollen wir Tische und Stühle auf den Straßen und Plätzen zusammenrücken und zu Tischgemeinschaften werden – in der Nachbarschaft, auf Marktplätzen, Bürgersteigen und in Gärten. Jede darf einladen, alle bringen etwas zu essen mit: Essen, reden, feiern. Konstruktiv streiten und diskutieren: welches Land wollen wir sein? Wie wollen wir gemeinsam Deutschland sein?
Für mich ist dieser 16. Juni ein (Nach-)Pfingstfest der besonderen Art. Denn die offene Gesellschaft ist eine Initiative der Unterschiedlichen, eine Hoffnungsgemeinschaft mit Sehnsucht nach Frieden und einer solidarischen Gemeinschaft der Individuen. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land teilt diese Sehnsucht – über Weltanschauungsgrenzen hinweg. Wenn das am Tag der Offenen Gesellschaft sichtbar wird – wäre auch das ein Grund zum Feiern! (Mitmachen hier!)
Gottes Geist wirkt — auch heute. Darauf dürfen wir uns verlassen, und daraufhin können wir unsere eingefahrenen Sichtweisen verlassen:
„Und welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Römer 8, 14) Pfingsten feiert die solidarische Gesellschaft der Vielfältigen, und wir in den Kirchen und der Diakonie feiern mit. Am kommenden Wochenende – und hoffentlich auch am 16. Juni.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein gesegnetes und inspirierendes Pfingstfest!