Pfingsten ist das „Geisterfest“ unter den kirchlichen Hochfesten. Es findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es gibt keine Tauben aus Schokolade, die schon seit Wochen in den Supermärkten locken, kein Geist in Flaschen, niemand backt Pfingstkuchen oder schickt inspirierte Grüße an die Verwandtschaft.
Anders als Weihnachten oder Ostern entzieht Pfingsten sich der Kommerzialisierung und damit hat es in unserer kirchenfernen Marktgesellschaft einfach schlechte Karten. Schade eigentlich. Denn gerade Pfingsten könnte das Fest einer pluralistischen und doch solidarischen Gesellschaft sein: Es feiert die Gemeinschaft der Unterschiedlichen – ohne Gleichmacherei. Es feiert, dass fremde Menschen sich als miteinander verbunden entdecken. Wo der Geist Gottes wirkt, könnte man auch sagen, nehmen Menschen sich als Gemeinschaft wahr. Oder andersrum: Wo sich Menschen trotz aller Unterschiedlichkeit als Gemeinschaft erleben, wirkt der Geist Gottes.
Kostbares Wir-Gefühl
Dieses Geschenk eines unerwarteten, intensiven Wir-Gefühls zwischen Menschen ist kostbar. Wer so einen „Freude, schöner Götterfunken“-Moment erlebt, vergisst ihn nicht, und sei er noch so flüchtig. Er sät eine Sehnsucht: So kann, so darf, so sollte es sein zwischen Menschen. „Alle Menschen werden Brüder, Schwestern, Blutsverwandte“, sind miteinander verbunden und einander anvertraut.
Und genau diese Sehnsucht hat Geist-Gottes-Qualität. Ob die Sprache der Christenheit nun Fremd- oder Muttersprache ist. Und das feiert Pfingsten. „Geburtstag der Kirche“, wie wir in den Kirchen auch gerne sagen, ist eigentlich zu eng formuliert. Der Geist des gekreuzigten und auferstandenen Herrn nimmt sich Freiheiten heraus und durchschreitet geschlossene Türen und auch Kirchenmauern.
Der Geist der Solidarität
Für mich zeigt sich das Wirken dieses Geistes tatsächlich überall, wo die Idee der Solidarität oder Nächstenliebe gepflegt und gelebt wird. Wo versucht wird, die Entdeckung, dass wir untereinander verbunden und einander anvertraut sind, in den Alltag zu holen. Über alle Fremdheit hinweg, trotz aller Unterschiede, allem Unverständnis, unabhängig von Sympathie oder Antipathie.
Das ist die Einsicht des „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“: Die anderen Menschen, auch die mit denen ich nichts zu tun habe oder zu tun haben will, sind wie ich. Ihr Leben ist wichtig. Ihre Bedürfnisse, ihre Not, ihre Schwäche brauchen meine Solidarität – und ich brauche die ihre. Das ist die Perspektive von Pfingsten.
Pfingsterfahrung Corona
In dieser Perspektive kann ich auch die Corona-Krise als Zeit der „Geistesgegenwart“ lesen. Sie birgt eine Pfingsterfahrung besonderer Art: Auf der ganzen Welt haben sich einander fremde Menschen mit Solidarität infizieren lassen und füreinander gesorgt. Millionenfach.
Nie wird man all die kleinen und großen Geschichten des Gemeinsinns erzählen können, die in den Pandemie-Alltag hineinstrahlen und sich zu einem tragfähigen Netz der Menschenfreundlichkeit verbunden haben: Leave no one behind.
Dass dieser Spirit aus Solidarität und Nächstenliebe nie erlischt, obwohl es wahrhaftig genug Gründe dafür gäbe, ist das eigentliche Wunder.
Kraft von oben
Und so feiere ich Pfingsten Gottes Geist: diese überraschende Kraft „von oben“, die – nachzulesen in Apostelgeschichte 2 – das Denken und Fühlen in Flammen setzt, Ängste überwindet, alle Sprachen der Welt spricht und Gemeinsinn schafft, ohne Vielfalt zu beseitigen. Was übrigens, wie die Bibel erzählt, unter den Leuten gewaltige Irritationen auslöst. Der Geist Gottes wirkt auch als Unruhestifter und löst Widerstand aus. Seit Menschengedenken.
Oder wie es Maria Luise Thurmair 1941, mitten im Krieg, in ihrem Pfingstlied (EG 554) dichtet: „Der Geist des Herrn durchweht die Welt gewaltig und unbändig; wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes Reich lebendig. Da schreitet Christus durch die Zeit in seiner Kirche Pilgerkleid, Gott lobend: Halleluja.“
Ich wünsche Ihnen gesegnete und frohe Pfingsten!