Demografie, Diakonie, Denkfabrik

Krieg, Corona, Klimawandel. Seit nunmehr zwei Jahren kommen wir alle aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus. Vor allem für die Jüngeren ist dies eine sehr lange Zeit. Mein Eindruck ist, dass Kinder und Jugendliche in der öffentlichen Debatte und in der Politik nicht die Rolle spielen, die sie spielen müssten. Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Lessons-Learned- Stellungnahme zu Corona zu recht nachdrücklich darauf hingewiesen.

Gut also, dass „Jugend“ von Montag bis Mittwoch das Thema der diesjährigen Berliner Demografie-Tage in der kommenden Woche ist.
Was bewegt jüngere Menschen in Deutschland, in Europa, in der Welt – und wie sehen ihre Zukunftsperspektiven aus? „Demografie, Diakonie, Denkfabrik“ weiterlesen

Eine offene Gesellschaft ist kein Selbstläufer

Am 18. Juni 2022 heißt es: „Platz machen! Für die offene Gesellschaft“. Bereits zum 5. Mal lädt die „Die offene Gesellschaft“ zu einem Aktionstag ein. Es geht dabei im Kern um nicht weniger als unsere Demokratie. Für mich ist der Kampf um eine offene und gerechte Gesellschaft die zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts. Was wir gerade in Europa erleben müssen ist sogar ein Krieg. Die Ukraine verteidigt sich mit Waffen gegen einen russischen Angriffskrieg, aber die Menschen in der Ukraine kämpfen auch für etwas: Sie verteidigen eine offene, eine demokratische Gesellschaft.
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Zeitenwende

Das Wort  „Zeitenwende“ hat gute Chancen zum Wort des Jahres 2022 zu werden. Wie grotesk und absurd ist es, dass im 21. Jahrhundert ein rückwärtsgewandter Mann in Macho-Manier an einem absurd langen Tisch einen brutalen Angriffskrieg gegen ein Volk führt, während ihm in seinem eigenen Land die ökologischen Probleme über den Kopf wachsen?! Die Permafrostböden tauen mit unabsehbaren Folgen und riesige Binnenseen trocknen aus.

Die Zeitenwende, die wir durchleben, markiert nicht nur eine grundlegende Veränderung der Sicherheitsordnung in der Welt, sie steht auch für die Notwendigkeit, die sozial-ökologische Transformation unseres Lebens und Wirtschaftens nun endlich entscheidend voran zu bringen. Dafür sind die vielen unterschiedlichen Unternehmen der Sozialwirtschaft so etwas wie geborene Partner. „Zeitenwende“ weiterlesen

Das neue Wir

Gemeinsinn versteht sich im Pluralismus keinesfalls von selbst. Im Gegenteil: Es ist anspruchsvoll „wir“ zu sagen, für einander einzustehen, faire Zusammengehörigkeit zu leben, besonders wenn die Vorstellungen von einem guten Leben weit auseinanderliegen. Auch in unseren freien Gesellschaften, die den unterschiedlichen Menschen Gleichheit grundsätzlich zusichern, ist das Wir-Gefühl fragil.

Bunter Obstsalat
Das neue Wir im Pluralismus: Bunte Vielfalt braucht Gestaltung, damit Gemeinsinn entstehen kann. Foto: epd-Bild/Dieter Sell

Das große Zukunfts- und Querschnittsthema „Gemeinsinn“ wird uns auch beim jährlichen Wichern-Empfang von Diakonie Deutschland in der kommenden Woche beschäftigen: „Das neue Wir. Gemeinsinn im 21. Jahrhundert“ haben wir ihn überschrieben. Nach zwei Jahren „Corona-Pause“ können wir Vertreter- und Freund:innen unseres weitgespannten Netzwerks erstmals wieder „richtig“ nach Berlin einladen. Das ist wirklich ein Grund zur Freude.

Ja zur Vielfalt

Wenn im Kontext der Diakonie über Gemeinsinn nachgedacht wird, wirkt zumindest im Hintergrund das anspruchsvolle biblische Bild von Gemeinschaft als „Leib Christi„. Eine organische Idee von Vielfalt und Einheit: die unterschiedlichen Körperteile haben verschiedene Aufgaben und sollen doch „eins“ sein. Christus ist das Haupt.

Grundsätzlich gilt – in und außerhalb christlicher Überzeugungen: Wir brauchen in unseren sich grundsätzlich und schnell wandelnden Gemeinwesen ein mehrheitliches „Ja“ zur Vielfalt, um sie miteinander lebenswert so gestalten zu können, dass alle ihren Platz finden.

Dazu gehört auch die Frage, wer eigentlich gemeint ist, wenn wir „Wir“ sagen? Wer gehört dazu – und wer nicht? Wen schließen wir durch unsere Sichtweisen, unsere Art zu sprechen und zu handeln von vornherein aus? Haben wir aus Corona und der Impfkampagne etwas gelernt?

Wer ist „Wir“?

In diakonischer Perspektive gehören alle Generationen, Kinder und Alte zum neuen Wir. Begabte Menschen, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Humor und besonders verletzliche Menschen in Notlagen aller Art. Das neue Wir hat viele Hautfarben. Es gehören Alteingesessene und Neuankömmlinge (m/w/d) dazu. Mit und ohne Kreuz, Kippa, Kopftuch oder Turban, vermögend oder verarmt, hoffnungsvoll oder verzweifelt.

Haben wir jemanden vergessen? Was ist mit den Tieren? Hat die Natur und haben nachfolgende Generationen ein Stimmrecht in unserem neuen Wir? Wie komplex und zugleich einladend kann oder muss dieses neues Wir sein, um den Herausforderungen der Zeit gerecht werden zu können? Das gilt es zu klären, nicht nur in unserem Land.

Und die Spielregeln?

Und wenn wir geklärt haben, wer dazugehören soll, wer darf aushandeln, nach welchen „Spielregeln“ wir miteinander umgehen wollen? Was verbindet uns und was soll für alle als verbindlich gelten? Wer diese Fragen stellt und wie diese Fragen von wem beantwortet werden, wer sie beantworten darf, das entscheidet über den gesellschaftlichen Frieden und die im Alltag gefühlte Zugehörigkeit und Teilhabe.

Gerade unter den Bedingungen des globalen Klimawandels, sind diese Fragen neu zu verhandeln. Unser Leben in Deutschland wird (und muss) ein anderes werden: Corona, Krieg in Europa, die globalen Klimaverschiebungen sind schwer zu lesende Wegweiser in eine ungewisse Zukunft. „Zeitenwende“ beschreibt die Situation zutreffend.

Wir suchen nach einer neuen glaubwürdigen und nachhaltigen Erzählung für die freiheitlichen Demokratien und unsere immer diverser werdende Gesellschaft in Deutschland. Und es gilt die Einsicht von Johannes Rau zu beachten, dass die Kommune, die konkrete Nachbarschaft, der Ernstfall der Demokratie und für sozialen Zusammenhalt ist.

Räume der Gewalt

Homogenitätsphantasien sind Gift für ein Wir in vielfältigen Gemeinwesen. Wo sie leiten, stirbt die Vielfalt, gedeihen unversöhnliche Parallelwelten. Menschen, die nicht der gesetzten „Norm“ entsprechen, erleben Ausgrenzung und Diskriminierung. Wo Austausch auf Augenhöhe und Teilhabe nur noch für ausgewählte Gruppierungen der Ähnlichen möglich ist, drohen Gesellschaften zu zerfallen. Es entstehen Räume der Gewalt.

Die zunehmenden totalitären Systeme rund um den Globus geben hier ein abschreckendes Beispiel; aber auch in unseren Städten und Dörfern ist das Leben in Vielfalt alles andere als selbstverständlich.

Und wir wissen aus eigenen Erfahrungen: Eine nicht gestaltete, schlecht moderierte Vielfalt, die sich keine Regeln gibt, kann genauso zu einem Gift für die Gemeinwesen werden. In Stadtvierteln oder ländlichen Regionen, die mit der zunehmenden Heterogenität ihrer Menschen sich selbst überlassen bleiben, entsteht nicht einfach von selbst ein friedliches Miteinander.

Kultur der Empathie

Frieden ist immer die Frucht einer gemeinsamen kulturellen Anstrengung, die süße Frucht von anstrengenden fairen Aushandlungsprozessen. Eine Kultur der Empathie und des offenen Miteinanders war nie ein Selbstläufer.

Die bunte Vielfalt der Lebensformen, der Lebensgeschichten und unterschiedlichen Vorstellungen von gelingendem Leben kann sehr herausfordernd sein. Zumal, wenn das, was alle brauchen, knapp wird: Arbeit, Essen, Wohnraum, Stille. – Ein Wir fällt auch im Pluralismus nicht vom Himmel, es kann, es muss gewollt und gestaltet werden.

Wo das nicht geschieht, wird es schnell konfliktträchtig. Und es ist verständlich, wenn Menschen sich dann hinter ihrer Haustür ins Privatleben zurückziehen und versuchen die sie irritierenden Gegensätze und Unterschiedlichkeiten auszublenden.

Rückzug und Aggression

Viele leben nach der Devise „My home is my castle“ in ihrer eigenen Welt:  Wenigstens im eigenen Kleingarten bestimme ich die Regeln. Auch die digitale Blase kann zur Festung werden. Andere wehren sich laut und gewalttätig gegen alles, was der eigenen Definition von Normalität nicht entspricht.

Die französische Präsidentschaftskandidatin besteht mit viel Zustimmung aus der Bevölkerung auf einem generellen Kopftuchverbot in Frankreich. Was für ein fatales und aggressives Fanal in einem Land mit einer großen muslimischen Minderheit.

Der Rückzug wie die Aggression – beide zerstören über kurz oder lang die vitalen Kräfte einer starken Zivilgesellschaft, die wir angesichts der großen Herausforderungen so dringend brauchen. Eine älter und zugleich vielfältiger werdende Gesellschaft wird beispielsweise die Pflege und Begleitung der Hochaltrigen in der Nachbarschaft ohne bürgerschaftliches Engagement nicht ermöglichen können. Wir alle sind letztlich auf soziale Gegenseitigkeit und Empathie angewiesen.

Das Wir der Vielfalt

Wer ein neues Wir der Vielfalt formen will, braucht einladende und offene Aushandlungsräume und -formate, in denen gemeinsame Interessen formuliert werden können. Es braucht eben nicht nur Einkaufszentren, sondern konkrete und attraktive Orte der Begegnung, an denen konkrete Projekte des Miteinanders, Prozesse der Entscheidungsfindung und kluge Moderation eingeübt werden können.

Jedes gelingende Quartiersmanagement, jede vitale Volkshochschule und mancher Fußballverein sind wunderbare Beispiele, wie gut das gelingen kann. Und hier könnten auch Kirchengemeinden und diakonische Einrichtung gemeinsam mit den anderen Gestalterinnen und Gestaltern eine wichtige Rolle spielen. Wie? Darüber wollen wir – nicht nur – beim diesjährigen Wichern-Empfang neu ins Gespräch kommen.

Nächstenliebe einspeisen

Aus diakonischer Perspektive gesagt: Wir wollen lernen und üben unsere menschlichen und organisatorischen Kompetenzen und Sensibilitäten in Sachen Nächstenliebe und gelingendem Miteinander in einer inklusiven und nachhaltigen Gesellschaft, noch wirkungsvoller in unsere Gemeinwesen einzuspeisen. Das könnte der entscheidende Gesellschaftsdienst von Kirche und Diakonie im 21. Jahrhundert werden.

Nun also Ostern

„Denn sie fürchteten sich.“ So endet das Osterevangelium, das in diesem Jahr in vielen Gottesdiensten vorgelesen wird. Es ist ein störrischer Text aus dem Markusevangelium. Er sperrt sich. Der biblische Auferstehungsmorgen bricht in einer zerborstenen Welt an. Das dominierende Gefühl ist Furcht. „Nun also Ostern“ weiterlesen

Gemeingut Gesundheit

Wer krank ist, braucht einen Arzt. Darauf können sich wohl die meisten Menschen verständigen. Und in der Tat ist Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ein Menschenrecht, also unabhängig von Nationalität, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit und auch vom rechtlichem Aufenthaltsstatus.

Eine Gesellschaft, die diesen Konsens teilt, wird versuchen, ihr Gesundheitssystem entsprechend zu gestalten. Doch in Deutschland leben Abertausende von Menschen, die ihr Recht auf gesundheitliche Versorgung nicht wahrnehmen können, ohne dass ihnen die Abschiebung droht. „Gemeingut Gesundheit“ weiterlesen

Die mit Tränen säen…

Acht Tage Krieg in der Ukraine – Hilfen wirksam spenden

Es hat etwas Unwirkliches. Ich sitze hier in meinem Berliner Arbeitszimmer. Die Sonne scheint mit ihren schönsten Vorfrühlingsstrahlen. Die Vögel zwitschern lauthals. Alles blüht, knospt, treibt. Und neun Autostunden von hier, in 850 Kilometer Entfernung, ist Krieg. Das ist so, wie wenn ich von Berlin aus in die Alpen zum Wandern fahre. Größere Kontraste lassen sich kaum denken. „Die mit Tränen säen…“ weiterlesen

Wir sind so frei – und sagen „Danke“

Wir sind so frei – und bedanken uns. In großen Lettern, weiß auf violett, plakatieren wir landauf, landab: „Danke, Ihr Geimpften.“ Die Impfung ist der beste Schutz jedes und jeder Einzelnen vor einem schweren Verlauf der Krankheit, und sie bietet der Gesellschaft damit den Schutz vor der Überlastung des Gesundheitssystems. So gesehen ist sie das einzige Mittel, um die Pandemie zu überwinden und all die Freiheiten zurückzubekommen, auf die wir in den zurückliegenden zwei Jahren so schmerzlich verzichtet haben. Ja, wir sind so frei und sagen denjenigen unseren Dank, die dazu durch Impfungen ihren Beitrag geleistet haben. „Wir sind so frei – und sagen „Danke““ weiterlesen

Impfkampagne – das geht besser!

Nur das, was ankommt, ist auch kommuniziert. Diese einfache Tatsache wird im Streit über die allgemeine Impfpflicht gerne übersehen. Denn wären die noch immer Unentschlossenen oder Skeptischen mit guten Argumenten erreicht und überzeugt worden, hätten wir die Debatte nicht. Dabei geht es nicht nur um den Schutz möglichst vieler Menschen vor dem Virus, sondern auch um die demokratische Kultur. Schließlich müssen in der liberalen Gesellschaft die Regierenden und ihre parlamentarischen Mehrheiten die Bürgerinnen und Bürger immer wieder neu überzeugen – sie haben die demokratische Pflicht, ihr Tun zu erklären, und sie dürfen nicht einfach ihren Willen durchsetzen. In der Impfdebatte ist dies allerdings nur zum Teil gelungen: 14 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland wollen sich weiterhin nicht impfen lassen oder sind unentschlossen. Was ist hier schiefgelaufen? „Impfkampagne – das geht besser!“ weiterlesen