Wann endet die Nacht?

Heute jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau, und ich denke an eine Weisheitsgeschichte des chassidischen Judentums: „Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?“, fragte einmal ein Rabbi seine Schüler. „Wann endet die Nacht?“ weiterlesen

Vom Finden des Lichts

“Where can we find light in this never ending shade?” – “Wo finden wir Licht in dieser unendlichen Finsternis?” Die Frage, mit der der eigentliche Star bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten, die 22-jährige Amanda Gorman, ihre flammende Rezitation begann, hallt nach. Und natürlich wäre es keine angemessene Antwort auf diese Frage, schlicht eine Kerze anzuzünden und in ein Fenster zu stellen. Oder vielleicht doch? „Vom Finden des Lichts“ weiterlesen

Trotzdem: Fröhlich!

“Fröhlich soll mein Herze springen” ist ein eher unbekanntes Weihnachtslied. Kirchen-Insider mögen hier widersprechen. Aber machen wir uns nichts vor: Gegen “Stille Nacht”, “O, Tannenbaum” oder “I‘m dreaming of a white Christmas” kommt der Paul Gerhardt/Johann Crüger-Klassiker aus dem 17. Jahrhundert nicht wirklich an.

Und in diesem Jahr wirken die alten Worte zudem für viele fast unpassend euphorisch. Fröhlich soll mein Herze springen? Ich denke da an ein hüpfendes Kind. – Wir von Diakonie Deutschland haben unseren diesjährigen Weihnachtsgruß trotzdem von diesem Lied inspirieren lassen. „Trotzdem: Fröhlich!“ weiterlesen

“Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten”

Am Mittwoch dieser Woche hatte ich einen meiner Lieblingstermine im Jahreslauf: Seit 2008 überreichen wir jedes Jahr dem Deutschen Bundestag einen original Wichern’schen Adventskranz. Dieses Mal stammt der unübersehbar große Kranz aus der Gärtnerei der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal: zwei Meter im Durchmesser und ganz schön schwer zu tragen. Johann Hinrich Wichern ist der Ahnvater der “Inneren Mission”, unserer heutigen Diakonie, und der Erfinder des Adventskranzes. Seit 1839 schmücken den Wichernkranz bis zu 26 Kerzen: in der Regel 20 rote für die Werktage und vier weiße für die Sonntage. „“Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten”“ weiterlesen

Das gefühlte Corona

Vielleicht können Sie den Satz, “Krisen sind Chancen”, mittlerweile auch nicht mehr hören. Mir geht es bisweilen so – mitten im Herbst-Lockdown, von dem noch keiner weiß, ob er eine neue Atempause bringt. Der emotionale Cocktail, an dem wir alle seit Monaten zu schlucken haben und den wir gesellschaftlich verkraften müssen, hat es in sich: Wut, Trauer, Angst, Unverständnis, Hoffnung, dazu sicher eine Prise Resignation. Mit Kalendersprüchen und einfachen Weisheiten ist meiner Gefühlwelt jedenfalls nicht mehr geholfen, während die zweite Corona-Infektionswelle mit Wucht über uns hereinbricht. Wie die meisten bin ich hin und her gerissen zwischen der Sorge um meine Liebsten, Gedanken an Freund*innen, die es gerade schwer haben und der Hoffnung auf einen Impfstoff, mit dem die Pandemie irgendwann ein Ende finden könnte. Corona befällt nicht nur unsere Körper, sondern droht auch unsere Seelen ernsthaft zu verletzen.

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Von der Freiheit eines Christenmenschen, der Zukunft der Kirche und ihrer Diakonie

Genau 500 Jahre nach den großen drei reformatorischen Schriften Martin Luthers, deren berühmteste den Titel “Von der Freiheit eines Christenmenschen” trägt, ist es still geworden. Nicht nur, weil die Sonne an meinem Zehlendorfer Schreibtisch nun schon um 16.47 Uhr untergeht, nicht nur, weil das in rauen Mengen gefallene Laub die Geräusche dämmt, sondern vor allem, weil nach all dem Freiheits-Pathos der sogenannten “Nuller-Jahre” und der Feierlaune des Reformationsjubiläums 2017 nun eine eigenwillige Ernüchterung, zuweilen auch Ermüdung eingetreten ist.
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Die Perspektive von Pfingsten

Pfingsten ist das “Geisterfest” unter den kirchlichen Hochfesten. Es findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es gibt keine Tauben aus Schokolade, die schon seit Wochen in den Supermärkten locken, kein Geist in Flaschen, niemand backt Pfingstkuchen oder schickt inspirierte Grüße an die Verwandtschaft.

Anders als Weihnachten oder Ostern entzieht Pfingsten sich der Kommerzialisierung und damit hat es in unserer kirchenfernen Marktgesellschaft einfach schlechte Karten. Schade eigentlich. Denn gerade Pfingsten könnte das Fest einer pluralistischen und doch solidarischen Gesellschaft sein: „Die Perspektive von Pfingsten“ weiterlesen

Alltägliche Oster-Helden

In diesem Jahr feiert die Christenheit Ostern unter besonderen, bedrückenden Umständen. Corona – das Virus steht für Krankheit und Leid, Todesangst und Sterben, für die Sorge um kollabierende Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften, für Einsamkeit und Überforderung, für Ausnahmezustand, Existenzangst und die Infragestellung von fast allem, was in unserem Land bis noch vor wenigen Wochen einfach „normal“ war: ein Glas Bier in einer Kneipe zu trinken, die Großeltern zu besuchen, zur Arbeit zu fahren oder sonntags in die Kirche zu gehen.

Mir gehen in diesen Tagen die Melodie und die ersten Zeilen des wunderbaren Osterlieds von Paul Gerhardt nicht aus dem Sinn: “Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, nimm wahr, was heut geschicht; wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht!” Was für ein Kontrast zum gegenwärtig vorherrschenden düsteren Lebensgefühl. „Alltägliche Oster-Helden“ weiterlesen

Verzweifeltes Vertrauen

Twitter müsste für Losungsleserinnen und -leser eigentlich ein nachvollziehbares Medienformat sein. Denn was sind Losungen anderes als Bibel-Tweets? Kurze, aus dem Zusammenhang gerissene Sätze, die eine erstaunliche Breitenwirkung haben – jedenfalls in der evangelischen Welt.
Und Aussagen von Politikern wie Wolfgang Schäuble oder Katrin Göring-Eckardt zeigen, dass sie auch in politische Diskurse sickern können. „Verzweifeltes Vertrauen“ weiterlesen

Macht hoch die Tür!

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Ich freue mich jedes Jahr, dieses wunderbare Lied wieder singen zu dürfen. Es erinnert mich an den Geruch der ersten Adventskränze meiner Kindheit und das gemeinsame Singen an dem großen runden Esszimmertisch. Es erinnert mich jedes Jahr auch daran, dass wir unsere Hoffnung auf ein schutzloses Flüchtlingskind in einem Stall setzen – so wird das Wort Fleisch.

In diesem Jahr erinnert dieses Hoffnungslied an die Menschen in Not, die vor den verschlossenen Toren Europas stehen, die an den Außengrenzen stranden – oder schlimmer. Festsitzen im Niemandsland und weit und breit keine offene Tür finden. Von offenen Herzen gar nicht erst zu reden. Auch Teile der Weihnachtsgeschichte sind “Immer – wieder”- Geschichten.

Ein Zuhause zu haben, ist ein Geschenk. Nicht nur zu Weihnachten. Foto: epd-Bild/Rainer Oettel

 

 

 

Offene Türen, offene Herzen

„Macht hoch die Tür“, singen wir im Advent und zu Weihnachten und wünschen uns offene Herzen für das, was wir Weihnachtsfreude nennen. Friede auf Erden oder doch wenigstens in der Familie. Wir genießen Krippe und Kerzenlicht, die illuminierten Innenstädte und Vorgärten, Glühwein und Geschenke. Die einen mehr, und viele andere eher weniger religiös. Wir sind tolerant, das ist unser „westlicher Lebensstil“.

Andere, die ähnlich aussehen wie wir, ziehen in Europa von Land zu Land und finden keinen Raum in der Herberge, geschweige denn Wohnung, Arbeit, Zukunft. Manche kampieren im geheizten Vorraum zu unseren Geldautomaten. Oder unter der Brücke.

Die Unbarmherzigkeit der Herbergswirte ist Legion. Und auch darum brauchen wir alle Jahre wieder am 18. Dezember den Internationalen Tag der Migration. Um uns daran zu erinnern, dass Sesshaftigkeit auf unserem Planeten oft keine Option ist, dass jeden Tag Heimat verloren wird und in der Fremde dann neu gefunden werden muss.

Hoffnung Europa?

Aus den unterschiedlichsten Gründen sind die Menschen unterwegs. Unngezählte brechen voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu uns nach Europa auf. Doch ihre Hoffnung erstickt im Streit der europäischen Regierungen.

Dass diese Regierungen seit Jahren keine gemeinsame humanitäre Asyl- und Migrationspolitik auf die Reihe bekommen, ist eine schandvolle Fortsetzung der Unbarmherzigkeit und politisch nicht klug. Und es ist ein Segen, dass die Zivilgesellschaft das nicht hinnimmt.

Die europäische Zivilgesellschaft ist in diesen Adventstagen die größte Hoffnung der Männer, Frauen und Kinder, die zwischen den Ländern unterwegs sind: Ob Palermo-Appell oder Seebrücke oder die Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer, an denen sich jetzt auch die EKD beteiligt.

Segen Zivilgesellschaft

Wo Menschen sich nicht ausreden lassen, dass die Zukunft der anderen genauso wichtig ist wie die eigene, werden sie pragmatisch und kreativ. Unterschiedlichste zivilgesellschaftliche Organisationen vernetzen sich und fordern eine neue europäische Migrations-und Integrationspolitik.

Bereits im März 2018 zur Konferenz „Asyl und Migration: Eine Schlüsselfrage für Europa“. Auf dieser Konferenz in Paris entstand die Pariser Erklärung, ein Aufruf zu einer neuen europäischen Integrationspolitik, in der die Kommunen eine zentrale Rolle spielen sollen.

Die Folgetagung unseres deutsch-französisch-italienisch-polnischen Bündnisses fand am 25. November 2019 bei uns im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung statt.

Ergebnis: der Berliner Aktionsplan für einen Neustart der Europäischen Asyl- und Migrationspolitik auf der Basis von Menschenrechten und Flüchtlingsschutz. Ein Appell an die neue EU-Kommission, endlich die tödlichen Blockaden zu überwinden und die verheerende Situation für Asylsuchende an den Außengrenzen zu abzustellen. Es geht um Menschen.

Migrationspolitik reformieren

Europa braucht jetzt dringend eine Reform der Migrationspolitik, eine glaubwürdige Vision eines Europas der Menschenrechte und des Zusammenhalts, die von allen EU-Staaten mitgetragen wird. Dazu sollte ein neues Zuständigkeitssystem kommen, das die berechtigten Interessen von Asylsuchenden berücksichtigt und Sekundärmigration verhindert; ein vorläufiges, freiwilliges Umverteilungsprogramm und einen EU-weiten Flüchtlingsstatus, der eine frühe Freizügigkeit ermöglicht.

Macht hoch die Tür! Macht voran, liebe Politikerinnen und Politiker in Europa.

Selbstverständlich kann Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen, die sich bei uns ein besseres Leben erhoffen. Das ist unbestritten. Darum müssen humanitäres Asylrecht, ein modernes Einwanderungsrecht und eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen miteinander verknüpft werden. Und deswegen sollten alle europäischen Mitgliedsstaaten viel stärker zusammenarbeiten als bisher. Nur das ist vernünftig und zukunftsfähig.

Advent heißt Ankunft

Und wenn wir dann den Menschen, die nach der Flucht vor Hunger und Gewalt hoffnungsvoll zu uns kommen, in unseren Städten und Landkreisen die Türen öffnen und ihnen die Chance geben, in unseren Gesellschaften anzukommen und ein zuhause zu finden, dann wäre Advent. Advent bedeutet ja Ankunft. Hoffnung – für alle.

Ich wünsche Ihnen allen gesegnete, frohe Weihnachten! Friede auf Erden. Und Türen, die sich Ihnen im neuen Jahr öffnen.

Und hier geht’s zum Weihnachtsfilm der Diakonie Deutschland.